Kolumne
Like A Rolling Webdev
Eine Zeit lang war kaum ein (englischsprachiger) Artikel über Webentwicklung zu lesen, in dem nicht mindestens einmal der Begriff »Rockstar Web Developer« erwähnt wurde. Natürlich gehört dieser Begriff zu den üblichen, aus unserer Sicht übertriebenen, Metaphern solcher Artikel – aber ist vielleicht doch etwas dran? Wie viel Rock ’n’ Roll steckt eigentlich in den üblichen Rollen eines typischen Webworker-Teams?
Grafik/Design
Kreativ an der Grenze zum Genie, dabei aber oft ein wenig divenhaft. Der grafische Entwurf ist immer das Wichtigste am Projekt, ohne Grafik geht ja quasi überhaupt nichts. Künstler halt. Muss immer das neueste Equipment (Creative Suite) haben, ist ständig auf der Suche nach kleinen Effekten (Brushes), die sein Werk aufpeppen. Kann aber auch mal »unplugged« spielen (Zettel und Stift), insbesondere, wenn improvisiert werden muss.
Ganz eindeutig: Die Grafik spielt Gitarre.
Frontend
Gehört nicht ganz zum Design, aber auch nicht so richtig zur Entwicklung. Wollte eigentlich Grafik machen, war dafür aber nicht gut genug. Das Frontend sitzt zwischen den Stühlen direkt an der Schnittstelle, steht Grafik und Backend nahe und verbindet beide – solide, aber meist unauffällig. Es fällt allerdings sofort auf, wenn es ungewöhnliche Spieltechniken (CSS3) einsetzen darf, und ohne Frontend würden Grafik und Backend vermutlich nicht zum gleichen Endergebnis kommen.
Man ahnt es schon: Das Frontend spielt den Bass.
Backend
Legt mit stoischer Ruhe die Basis des Projektes und gibt damit Rhythmus und Tempo vor. Kann antreiben oder das Tempo verschleppen, ohne aus dem Takt zu kommen. Schüttelt mitunter den Kopf, worüber sich »die Kreativen« schon wieder aufregen, macht dann aber einfach weiter. Hantiert bisweilen mit exotischen Instrumenten (Webserver, Datenbank, Java). Man kann natürlich Projekte ganz ohne Backend umsetzen, aber mal ehrlich – ist das noch Rock ’n’ Roll?
Keine Frage, das Backend sitzt am Schlagzeug.
Projektleitung
Bleibt idealerweise im Hintergrund und erledigt unauffällig, was zu tun ist, damit das große Ganze funktioniert. Springt ein, wenn Not am Mann ist (auch mal bei Dingen, die niemand sonst kann und die nicht vorgesehen waren), verzichtet aber auf große Solo-Einlagen – es sei denn, es gilt, das Publikum zu beeindrucken. Hat viel Arbeit schon erledigt, bevor die anderen überhaupt anfangen, neigt aber auch zum Drängeln, weil sie nicht versteht, dass die anderen nicht auf Knopfdruck loslegen können.
Klarer Fall: Die Projektleitung steht am Keyboard.
Bonustrack: Wer singt eigentlich?
Sie halten sich meist für fürchterlich wichtig, dabei spielen sie nicht einmal ein richtiges Instrument. (»Ich hab mal ein paar Gitarrenstunden gehabt, aber ich kann nur ein paar Akkorde. Gib’ mal die Gitarre, ich probier mal was!«) Kommt zu spät zu wirklich allen Terminen, weil wieder mal irgendetwas dazwischen kam. Wenn sie dann da sind, haben sie ein fürchterlich schlechtes Timing (»Wie, Einsatz verpasst? Spielt halt so, wie ich einsetze. Das kann doch nicht so schwer sein?«) und fordern Dinge, die so gar nicht gehen (»Wollen wir nicht mal einen Song mit einem Dudelsack-Solo machen? Das klingt bestimmt voll gut!«).
Letzten Endes ist es aber doch so: Ohne Sänger gäbe es oftmals keine Band. Sicherlich gibt es ein paar Musiker, die nur instrumental spielen, aber mal ehrlich: Es wird auf Dauer schnell langweilig und so richtig will sich dafür kein Publikum finden. Wirklich gute Sänger sind also selten – hat die Band einen gefunden, bemüht sie sich, dass er bleibt, auch wenn sie dafür Kompromisse eingehen muss.
Wer es nicht längst vermutete: Den Gesang in unserer Webdev-Band übernehmen unsere Kunden.
Disclaimer: Der Autor dieses Artikels ist Webentwickler und Bassist einer Rockband. Es ist nicht auszuschließen, dass dieser Umstand seine Sicht des Themas maßgeblich beeinflusst.
Wir bedanken uns recht herzlich bei Mr. Kopozky und seinem Team für ihren spontanen Gastauftritt!
Kommentare
Frank
am 06.12.2013 - 12:02
Vielen Dank - ich liebe es.
Silke Capo
am 06.12.2013 - 12:32
Klasse! Ich denke aber Bassist passt auch unabhängig davon, dass du Bassist bist. Ja ja, Bassisten: die heimlichen Stars der Band...
Was mir noch in den Sinn kam: Der TYPO3-Integrator und Entwickler stand mir als Alleinunterhalter vor Augen, eine Hand am Keyboard um ein halbautomatisches Programm zu steuern, die andere an der Gitarre (wie spielt man eigentlich einhändig Gitarre?), den Fuß am Schlagzeug. Der Kunde wäre in diesem Fall aber wohl eher das Publikum mitgröhlender Omas ;-)
Stefan David (Webkraut)
am 06.12.2013 - 13:33
Großartig, dankeschön. :-)
Carsten Hoffmann
am 06.12.2013 - 18:13
Sehr schöne Sichtweise, gefällt mir. Danke.
Reinhard
am 06.12.2013 - 20:42
"Nicht gut genug für..."
Ich glaube das liegt an nicht erreichbaren Idealvorstellungen gepaart mit absoluter Kompromissfähigkeit, die für die Arbeit am Bass geradezu prädestiniert.
Und das eigene Können ( im Gegensatz zu Leadgitarristen ) immer etwas klein zu reden - weil ein Bassist nie so gut sein kann, wie er es von sich selbst verlangt - gehört da auch dazu.
Und wenn man auch öfter daran verzweifeln mag. Immer daran denken.
"Ohne Bass keine Musik".
Vielen Dank Mathias für diese Charakterbeschreibung.
Ich finde mich jedenfalls als Anästhesist ( ...zum operieren nicht gut genug ),Webmaster (...zum Programmieren..) und Bassist sehr gut getroffen. Und dir andern Typen kenne ich auch alle.
Aber wie gesagt - ohne uns geht nicht.
hannenz
am 09.12.2013 - 23:29
Schöner und amüsanter Vergleich, vor allem wenn man - wie ich auch - beide Welten kennt :)
Tjark
am 10.12.2013 - 12:15
Genialer Artikel :D
Ich als Schlagzeuger würde mir aber eher die Eigenschaften des Designers oder zumindest des Frontend-Developers zuschreiben :D
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