Ein Rückblick zum Jubiläum
10 Jahre Webkrauts
Wir schreiben das Jahr 2005. Alle Welt nutzt noch immer Layouttabellen, obwohl die Browser besser geworden sind. Einige wenige Webworker wollen endlich vernünftiges HTML und CSS schreiben. Sie rotten sich in Initiativen zusammen, damit sie besser gehört werden. Eine dieser Initiativen sind die Webkrauts. Gründer Jens Grochtdreis siniert über den Anfang der Initiative.
Vor zehn Jahren sah die Webwelt noch ganz anders aus als heute. Der IE6 dominierte eindeutig, Firefox war gerade in Version 1, Safari in Version 2 und von Chrome gab es noch keine Spur. Was auch immer man heute gegen den IE6 vorbringen mag, zur damaligen Zeit war er ein toller Browser. Er konnte auch eine Menge mehr als seine Vorgänger. Deshalb war es an der Zeit, den alten Layouttabellen endlich zu entsagen und semantisch wertvollere Webseiten zu schreiben.
Genau darüber gab es viele Debatten, Artikel, Bücher zu dieser Zeit. Es war ein hartes Stück Arbeit, sich selber vernünftiges HTML und CSS beizubringen und nicht immer wieder in alte Muster zu verfallen. Ein noch härteres Stück Arbeit war es, die Kollegen von diesem Weg zu überzeugen. Ganz vorne stritt dafür das Webstandards Project.
Am 18. August 2005 schrieb ich mir nach der Mittagspause kurz und knapp in meinem Blog meinen Frust von der Seele. Ich hatte mit Interesse verfolgt, wie neben dem Webstandards Project und der australischen Web Standards Group nun auch in Holland eine Webstandards-Initiative entstand. Auch das Britpack aus Großbritannien packte ich fälschlicherweise in diese Richtung.
Es ärgerte mich, dass gerade im größten Binnenmarkt der EU, also bei uns, eine solche Initiative nicht existierte. Ich war erstaunt, in welcher Geschwindigkeit Kommentare der Marke »dann initiier DU es doch« eintrudelten. Ich bekam sogar von Tomas Caspers einen ebensolchen Anruf. Ich kannte Tomas nur als Barrierefreiheits-Guru und wusste nicht, dass er meine Existenz bemerkt hatte.
Ich machte mich hoch motiviert an die Namenssuche. Ich wollte von Anfang an keinen offiziös klingenden Namen. Ich wollte schließlich auch keinen Verein. Es sollte eine lose Bekenntnisgemeinschaft werden. Und der Name durfte durchaus ironisch sein, denn ich wollte nicht mit deutschem Ernst an die Sache herangehen. In einem Kommentar schrieb ich: »Also, macht Euch locker und geht die Auseinandersetzung mit den ›Zurückgebliebenen des Webdesigns‹ fröhlich und ohne übermäßigen Eifer an.«
Recht schnell kam ich auf »WebKrauts«, da wir schließlich von Amerikanern (und Briten?) gerne als »Krauts« bezeichnet werden. Der Name erinnerte mich an den Sprachwitz der Holländer (»Happy Clog«). Ich war zufrieden und buchte die Domain. Der Name gab dann in der Folge eine kurze Zeit Anlass zu Diskussionen, denen ich so gut wie möglich zu begegnen versuchte.
Zwei Tage später, am 20. August 2005, gab ich offiziell die Gründung der Initiative »Webkrauts« über die neue Domain und in meinem Blog bekannt. Innerhalb kürzester Zeit ergoss sich eine Flut von »Mitgliedsanträgen« in den Kommentaren, sodass ich erst einmal »STOP« brüllen musste.
So spontan wie ich die Webkrauts gründete und ein Wordpress-Blog aufsetzte, so spontan entschied ich mich dann dafür, Basecamp zur Organisation des eintretenden Chaos zu nutzen. Nach wenigen Monaten wurde klar, dass Basecamp für eine debattenfreudige Horde nicht geeignet war. Ich verlor schnell den Überblick. Denn offenbar hatte ich mit der Initiative einen Nerv getroffen. Die neuen Webkrauts waren sehr diskussionsfreudig.
Ein Versuch für einen Ausweg aus diesem Dilemma war der Umzug von Basecamp zu einem Forum. Daraufhin kündigten schon ein paar wenige die Mitgliedschaft, weil ihnen ein Forum nicht gefiel. Die Debatten wurden im Forum besser, mal abgesehen von Beiträgen wie »als Webkrauts müssen wir unbedingt unser eigenes Forum programmieren«.
Doch einen entscheidenden Fehler beseitigte auch das Forum nicht: es wurde viel geplant, geträumt, gefordert, aber niemand tat wirklich etwas. Zumindest kamen wir recht zügig zu einem eigenen Logo. Manuela Hoffmann hatte sich bereit erklärt, ein Logo zu entwerfen. Nach ein paar Iterationen, zu denen auch ein Sauerkrauttopf gehörte, einigten wir uns auf das noch immer aktuelle Logo.
Schon im Gründungsjahr veröffentlichten wir unseren ersten Adventskalender mit Artikeln rund um Webstandards. Zwei Jahre später wagten wir uns an den Test der Webseiten aller Bundesliga-Vereine. Er zeigte, wie schlecht doch in unserer Profession die Qualität verbreitet war. Es waren teils grauenhafte Seiten darunter. Er zeigte uns aber auch, dass wir es nicht schafften, zu den Entscheidungsträgern vorzudringen und Qualitätsbewusstsein zu ermöglichen.
Neben der Artikelarbeit rotteten sich einige von uns immer mal wieder spontan auf Konferenzen zusammen. So waren wir nicht unbeträchtlich mit Sprechern auf den ersten WebTech-Konferenzen vertreten, bei einer sogar mit einem eigenen Webkrauts-Track. Ebenso beim Multimediatreff in Köln 2008. Und auch beim Webkongress Erlangen sind wir immer zahlreich mit Sprechern (oder nur Zuhörern) vertreten gewesen. Auf diese Weise lernten sich einige von uns gut kennen, Freundschaften und gemeinsame Projekte entstanden.
Die Welt hat sich von Layouttabellen verabschiedet, die Verwendung von Webstandards ist heutzutage ein allgemein akzeptiertes Qualitätsmerkmal bei der Produktion von Websites. Trotzdem gibt es noch viel zu tun, damit künftig »mehr Qualität im Web« herrscht. Neue Gefahren für ein offenes, qualitativ hochwertiges und zugängliches Web lauern überall. Seien es z.B. Websites, die eine eigentlich in ein paar Bytes zu erzählende banale Information in megabyteschweren komplizierten Gesamtkunstwerken aus JavaScript und monströsen Dekorations-Bildern ausliefern und damit jeden Smartphone-Akku bei der Darstellung aussaugen wie ein Vampir. Oder Bemühungen von Gruppen, die aus dem Scheitern von Flash, Silverlight, Java und Co. nichts gelernt haben und als Konsequenz wieder neue binäre Formate für das Web einführen möchten, natürlich mit DRM und allem was dazu gehört. Oder die Flucht in die umzäunten Gärten sozialer Netzwerkgiganten und propriäteren App-Landschaften.
Es wird also auch in Zukunft Bedarf an Stimmen für ein qualitativ hochwertiges und zugängliches Web geben. Auf in die nächsten 10 Jahre!
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