Barrierefreie PDF-Dateien
Weg mit dem Adobe-Umfließen-Modus!? Teil 1
Das heutige Artikeltürchen unseres Adventskalenders steht ganz im Zeichen eines Stoßseufzers zum »Adobe-Umfließen-Modus«. Kerstin Probiesch schreibt über Irrungen und Wirrungen bei der Nachbearbeitung von PDF-Dateien.
Das Thema »Barrierefreie PDF-Dateien« kommt immer mehr in den Köpfen von Entscheidern an – vertraglich meist mit dabei: Der Adobe-Umfließen-Modus und ähnlich wie beim Kontrastmodus die Probleme, die aufgrund der teils fehlerhaften und nicht-standardkonformen Darstellung entstehen. Der folgende Artikel kommentiert – nach einer Einführung in die Hintergründe – Bearbeitungsprobleme bei PDF-Dateien und setzt sich kritisch mit formalen Vorgaben auseinander.
Reihenfolgen und Lesemodi – Eine Einführung in das Umfließen
Die korrekte linearisierte Ausgabe von Texten und Grafiken orientiert sich an der Reihenfolge der Tags. So sind wir es von HTML gewohnt, und so besagt es der PDF/UA-Standard (PDF Universal Accessibility). Ist die Tag-Reihenfolge in Ordnung, dann werden die Inhalte logisch an Assistive Technologien, z.B. Screenreader, vermittelt. Adobe Reader und Acrobat Professional kennen hingegen – abgesehen von der Inhalte-Reihenfolge – die Tag-Reihenfolge selbst sowie die sogenannte Lese-Reihenfolge. Diese Bezeichnung ist jedoch verwirrend, denn sie suggeriert, dass nicht die Reihenfolge der Tags die wahre Reihenfolge sei, sondern die Lese-Reihenfolge. Diese Lese-Reihenfolge könnte eigentlich vernachlässigt werden, kommt jedoch dann ins Spiel, wenn PDF-Dateien im sogenannten Umfließen-Modus von Adobe angezeigt werden sollen. In diesem Modus ist es möglich, PDF-Dateien ohne waagerechten Scrollbalken zu vergrößern. Dabei werden die Inhalte neu umgebrochen – allerdings nicht und wie wir es von HTML kennen auf der Basis der Tags, sondern auf der Basis der sogenannten Adobe-Lesereihenfolge. Dabei fallen einige kritische Punkte und fehlerhafte Darstellungen ins Auge.
Nehmen wir als Beispiel einen kurzen Text mit zwei Absätzen und jeweils einem begleitenden, informativen Symbol links daneben. Die Tag-Reihenfolge ist: Absatz Symbol Absatz Symbol; die Adobe-Lesereihenfolge dagegen ist: Absatz Absatz Symbol Symbol. Da Screenreader die Tag-Reihenfolge auswerten, werden die Absätze und Symbole im Wechsel vorgelesen. Wird das Dokument hingegen im sogenannten Umfließen-Modus angezeigt, entsteht zwar kein waagerechter Scrollbalken mehr, aber die unlogische Reihenfolge von Absatz Absatz Symbol Symbol. Ursache ist, dass für das Adobe-Umfließen nicht die Tagreihenfolge entscheidend ist, sondern die Adobe-Lesereihenfolge.
Daneben wartet das Adobe-Umfließen und eben die Lesereihenfolge mit weiteren Überraschungen auf. Eine Auswahl:
- Weißer Text, sei er korrekt als Überschrift, Text, Liste usw. getaggt oder nicht, wird im Adobe-Umfließen-Modus nicht angezeigt.
- Beim Nachtaggen, das typischerweise im Lesereihenfolge-Fenster durchgeführt wird, geraten Pfade z.B. bei Diagrammen häufig durcheinander. Für Screenreader hat dies keine Auswirkung; für die Ansicht im Adobe-Umfließen-Modus hingegen schon.
- Müssen Pfade zurechtgerückt werden, dann kann dies nicht im Lesereihenfolge-Fenster geschehen, sondern muss im Inhalte-Fenster und damit sichtbar für alle erfolgen und kann sich durchaus aufwändig gestalten.
- Wird es nötig, die Lesereihenfolge zu ändern, dann kann es dazu kommen, dass Inhalte sozusagen verschwinden. Auch hier muss dann im Inhalte-Fenster die Reihenfolge nachgezogen werden.
- Regelmäßig kommt es bei der Anzeige im Adobe-Umfließen-Modus außerdem dazu, dass sich Tabelleninhalte überlagern, und mal kommt es zu Überlagerungen von Texten, mal von Texten und Tabellen oder Grafiken usw.
- Werden Zellen von Datentabellen getaggt, dann gerät regelmäßig die Lese-Reihenfolge und damit die Ansicht im Adobe-Umfließen-Modus durcheinander. Die einzelnen Datenzellen müssen dann händisch im Adobe-Lesereihenfolge-Fenster neu angeordnet werden. Je umfangreicher eine Datentabelle, desto zeitaufwändiger.
- Wird im Adobe-Lesereihenfolge-Fenster eine Reihenfolge geändert, dann wirkt sich dies zumeist auf die Tag-Struktur aus – umgekehrt jedoch kaum. Da es bei diesem Arbeitsschritt dazu kommen kann, dass sich die Tags danach sozusagen irgendwo im Dokument befinden, ist man gut beraten, wenn erst die Lesereihenfolge bearbeitet und danach erst die Tagstruktur.
- Hin und wieder begegnen einem im Adobe-Umfließen-Modus sogar Kommentare des Designers. Von Screenreadern werden diese nicht vorgelesen; Im Adobe-Umfließen-Modus sind sie jedoch sichtbar.
Bei Problemen dieser Art muss für die Bearbeitung der Adobe-Umfließen-Modus verlassen werden. Somit kann natürlich keine direkte Kontrolle stattfinden, und es wird ein häufiger Wechsel zwischen Normalansicht und Adobe-Umfließen-Ansicht nötig. Und am besten wird das Dokument jedes Mal zwischengespeichert – man weiß ja nie…
Bei Dateien mit geringem Layout-Anteil ist das alles noch recht unproblematisch. Geht es jedoch um Broschüren, Flyer und ähnlichen Textsorten, dann ist die PDF-Bearbeitung für das Adobe-Umfließen ein sperrig und zeitaufwändig Ding.
Es ist vor allem diese vom Standard abweichende Darstellung, wodurch »Barrierefreien PDF-Dateien« der Ruf anhaftet, man müsse einen Doktortitel haben und das Taggen eines PDF sei »umständlich« und »zu teuer«. Faktisch ist nicht das korrekte (Nach)taggen teuer – und mithin bloßes Handwerk –, sondern der Aufwand, der für das fehlerhafte Adobe-Umfließen getrieben werden muss.
Woher kommt nun die Forderung nach funktionierendem Adobe-Umfließen? Eine Spurensuche:
Eine kurze Geschichte des Adobe-Umfließen-Modus
2007 wurde im sogenannten BITV-Test der PDF-Prüfschritt festgelegt. Teil des Prüfschritts – mal als Provisorium gedacht, jedoch bis heute rezipiert – war der funktionierende Adobe-Umfließen-Modus für PDF-Dateien. Im Prüfschritt allgemein als »Umfließen«-Modus bezeichnet.
Argument für die Prüfung eines Dokuments im Adobe-Umfließen-Modus war, dass eine Schriftvergrößerung ohne waagerechten Scrollbalken möglich sein müsse und zwar dann, wenn das PDF auf 150% vergrößert wird.
2007 ist nun eine Weile her und lange führte das Thema »Barrierefreie PDF-Dateien« ein Schattendasein. In den letzten Jahren hat es jedoch erfreulich an Fahrt aufgenommen. Der PDF/UA-Standard (PDF Universal Accessibility) meißelte 2012 die Richtlinien für barrierefreie PDF-Dateien zwar nicht in Stein, aber da er eine ISO-Norm ist, zumindest in etwas Ähnliches – nicht dabei: der Adobe-Umfließen-Modus.
Seit der Veröffentlichung des VIP-Reader können PDF-Dateien im Kontrastmodus gelesen und auch ohne waagerechten Scrollbalken vergrößert werden. Einzig bei breiten Datentabellen entsteht er noch. Ein korrekt getaggtes PDF, die Voraussetzung aller PDF-Barrierefreiheit, kann außerdem in der Vorschau des Prüfinstruments PAC (PDF Accessibility Checker) gelesen werden und eine weitere Möglichkeit bietet pdfGoHTML. Dabei wird in den beiden letztgenannten Programmen aus dem PDF eine HTML-Datei. Sie kann im Browser mit allen Vorzügen – wie eigenen Farbdarstellungen und Vergrößerungen ohne waagerechten Scrollballken – gelesen werden kann. Dieses Umfließen bei Vergrößerung geschieht dabei stets standardkonform auf Basis der Tag-Reihenfolge.
Workarounds für den Adobe-Umfließen-Modus auf dem Prüfstand
Müssen PDF-Dateien für das Adobe-Umfließen flott gemacht werden, befinden sich Dienstleister augenblicklich in der Welt selbst entwickelter Workarounds – darunter auch solche, die semantisch zumindest fragwürdig sind. Da wird schon mal »harmloser« weißer Text mit Überschriften, Absätzen und Listen in eingefärbte Layout-Tabellen gepackt, damit er im Adobe-Umfließen-Modus sichtbar ist. Die allseits und zu Recht ungeliebten Layout-Tabellen feiern hier fröhliche Urstände – diesmal nicht für die Platzierung von Inhalten, sondern für das Definieren von Zellen-Hintergrundfarben über die Attributwerte. In der freien PDF-Wildbahn finden sich weitere, fragwürdige Workarounds wie das Taggen von weißem Text zusammen mit dem Hintergrund als Grafik, damit er dann im Adobe-Umfließen-Modus lesbar ist. Für diesen muss dann selbstverständlich wiederum ein Alternativtext für Screenreader hinterlegt werden.
Der leicht zu prüfende Adobe-Umfließen ist quasi derart »übermächtig«, dass er teilweise also sogar zu Lasten von Semantik und Standardkonformität geht. Sogar die Textversion kommt hin und wieder zu neuen, unrühmlichen Ehren; und das geht so: Alle Inhalte inkl. Text und nicht nur rein-dekorative Grafiken werden als Hintergrund-Elemente (Artefakte) definiert, und es wird eine zweite, reine Textversion hinterlegt, die dann getaggt wird. In diesem Fall wird im Adobe-Umfließen-Modus diese reine Textversion angezeigt, und da Artefakte von Screenreadern ignoriert werden, erhalten auch Screenreadernutzer eine reine Textversion.
Andere Workarounds funktionieren abhängig vom PDF mal und mal nicht; wieder andere, die zumindest nicht zu Lasten der Standardkonformität gehen, können zuweilen nur in bestimmten Versionen des Acrobat Professional durchgeführt werden.
Dabei stellt sich insgesamt die Frage, an welchen Stellen es formal überhaupt um das fehlerhafte, eigenwillige Adobe-Umfließen geht. Diese formale Ebene ist sicher nicht die spannendste, ist jedoch dann wichtig, wenn es um das Erfüllen von Verträgen im Kontext der BITV 2.0 geht. Eine kritische Würdigung der BITV 2.0 im Kontext des Adobe-Umfließens folgt morgen im zweiten Teil des Artikels.
Kommentare
Olaf Drümmer
am 21.12.2014 - 13:09
Weil es in diesem Zusammenhang nicht ganz unwesentlich ist: PDF/UA-1 ist seit Februar 2014 auch DIN-Norm, und liegt somit auch in deutscher Sprache vor (siehe http://www.beuth.de/en/standard/din-iso-14289-1/194928164 ). Zumindest die öffentliche Hand ist gehalten, sich an einschlägige (DIN-) Normen zu halten…
Die Kommentare sind geschlossen.