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Weg mit dem Adobe-Umfließen-Modus!? Teil 2

Barrierefreie PDF-Dateien

Weg mit dem Adobe-Umfließen-Modus!? Teil 2

Der Adobe-Umfließen-Modus ist eine besondere Hürde, wenn es darum geht, PDF barrierefrei zu gestalten. Dabei stellt sich die Frage, welche Bedingungen gemäß WCAG 2.0 und BITV 2.0 überhaupt erfüllt sein müssen? Und was bedeutet das für vertragliche Regelungen?

Nachdem im ersten Teil der Adobe-Umfließen-Modus kritisch betrachtet wurde, geht es in diesem zweiten Teil um formale sowie um vertragliche Aspekte.

Standards für barrierefreie PDF-Dateien

In der barrierefreien PDF-Welt spielen zwei ISO-Standards eine Rolle:

  • ISO 14289-1 (zugleich PDF/UA-Standard) sowie
  • ISO/IEC 40500:2012 (WCAG 2.0).

Entscheidend für das Umfließen ist nach PDF/UA-Standard die Reihenfolge der Tags. Spezielle Reader werden nicht genannt; Regeln für oder eine Erwähnung des Adobe-Umfließens finden sich nicht.

Auch in den Erfolgskriterien der WCAG 2.0 werden keine speziellen Reader genannt, da die WCAG 2.0 bewusst technik- und technologieunabhängig formuliert wurden. Die Schriftvergrößerung wird an zwei Stellen adressiert und zwar in Erfolgskriterium 1.4.4 (Stufe AA) und in Erfolgskriterium 1.4.8 (Stufe AAA). In beiden Fällen geht es um das Vergrößern auf bis zu 200% ohne, dass es zu Überlagerungen kommt oder dazu, dass Inhalte nicht mehr angezeigt werden. Dabei ist auf Stufe AA ein waagerechter Scrollbalken erlaubt und auf Stufe AAA nicht mehr. Dies gilt für alle Webinhalte und damit auch für PDF-Dateien, die im Web oder Intranet veröffentlicht werden – also faktisch für fast für alle PDF-Dateien.

Wenngleich es nicht nur gute, sondern sehr gute Gründe für Kritik an dieser Systematik gibt: Wollen wir valide WCAG 2.0 auf Stufe AA prüfen, darf der waagerechte Scrollbalken keine Rolle spielen, denn sonst prüfen wir nicht mehr Konformität mit Stufe AA, sondern AAA-Konformität. Faktisch sollte jedes PDF in jedem Reader Schriftvergrößerung auf Stufe AA erfüllen.

Wie wird Barrierefreiheit umgesetzt? Welche Techniken können eingesetzt werden?

Techniken finden sich im Techniken-Dokument der WCAG 2.0; sie sind laut WCAG 2.0 jedoch nicht verbindlich, sondern nur anwendbare Optionen. Sind die Erfolgskriterien erfüllt – mit welchen Umsetzungstechniken auch immer und so lange diese nicht-störend und standardkonform sind –, dann ist die WCAG 2.0 erfüllt. Eine Technik muss also nicht erst im Techniken-Dokument stehen, um verwendet zu werden.

Schriftvergrößerung in der BITV 2.0

Anforderungen an das Lesen von Webseiten (und damit auch an PDF-Dateien) ohne waagerechten Scrollbalken finden sich in Bedingung 1.4.8 der BITV 2.0 (Priorität II). Sie korrespondiert mit 1.4.8 der WCAG 2.0. Im Unterschied zur WCAG 2.0 jedoch, wo auf jeder Stufe immer alle Webinhalte angesprochen sind, adressiert die Priorität II der BITV 2.0 nicht mehr alle Webinhalte. So heißt es in der BITV 2.0 wie folgt: »(...) Weiterhin sollen zentrale Navigations- und Einstiegsangebote zusätzlich die unter Priorität II aufgeführten Anforderungen und Bedingungen berücksichtigen.« Ein PDF ist jedoch regelmäßig nie ein zentrales Einstiegs- und Navigationsangebot.

Fassen wir die Spurensuche kurz als Zwischenergebnis zusammen:

  • Ein PDF soll konform zu PDF/UA sein: Das Umfließen geschieht auf Basis der Tagreihenfolge. Das Adobe-Umfließen muss nicht erfüllt sein.
  • Ein PDF soll konform zu WCAG 2.0 Stufe A bzw. AA sein: Der waagerechte Scrollbalken spielt hier für eine valide Prüfung keine Rolle.
  • Ein PDF soll konform zu WCAG 2.0 AAA sein: Es darf kein waagerechter Scrollbalken mehr entstehen.
  • Ein PDF soll konform mit BITV 2.0 Priorität I sein: Der waagerechte Scrollbalken ist erlaubt und jedes PDF erfüllt die entsprechende Bedingung hinsichtlich der Schriftvergrößerung.

Aus der BITV 2.0 direkt scheint das Adobe-Umfließen also nicht ableitbar zu sein.

Auf Spurensuche beim Bund

Der Bund bietet zahlreiche Dateien zur BITV 2.0 an, u.a. auch Musterausschreibungen, und stellt außerdem den BITV-Lotsen zur Verfügung. In der Musterausschreibung des Bundes wird der Begriff »Umfließen” genannt, der Adobe Reader jedoch nicht explizit erwähnt. Da die Musterausschreibung lange vor Veröffentlichung des VIP-Readers existierte, kann davon ausgegangen werden, dass hier der Adobe Reader gemeint ist. Explizit genannt wird das Adobe-Umfließen erst im BITV-Lotsen des Bundes. Damit gehen Musterausschreibung und BITV-Lotse im Prinzip über die BITV 2.0 hinaus – ob sie dieser sogar widersprechen könnte sicher diskutiert werden. Und: Wenn auf PDF-Dateien eine Bedingung aus Priorität II angewendet wird, warum dann nicht auch weitere Bedingungen, z.B. ein erhöhtes Kontrastverhältnis von mindestens 7:1?

Hier zeigt sich letztlich ein Nachteil der BITV 2.0. Bei Prio I ist sozusagen Schluss, um es sehr salopp zu sagen. Der Rest muss nur bei zentralen Einstiegs- und Navigationsangeboten umgesetzt werden - darunter auch wichtige Aspekte der Textverständlichkeit, die gerade dort wichtig sind, wo sich Nutzer lange aufhalten und das tun sie auf zentralen Navigationsangeboten nicht. Die WCAG 2.0 hingegen machen keinen Unterschied. Webinhalt ist Webinhalt und die Anbieter sind aufgerufen, auch Aspekte der jeweils höheren Stufe umzusetzen und damit die Barrierefreiheit zu verbessern.

Eine Frage der Techniken

Wie soll nun der Adobe-Umfließen-Modus umgesetzt werden? Damit betreten wir die konkrete, praktische Arbeit am lebenden PDF und die in Teil 1 dieses Artikels aufgezeigten Darstellungsfehler. Wird etwas gefordert, muss dafür gesorgt werden, dass es erfüllt werden kann. Dafür sorgt leider die derzeitige Fassung der BITV 2.0 gerade nicht. Die Ursache findet sich in ihrer Begründung:

»Die anzuwendenden Techniken zur Umsetzung der WCAG 2.0 und entsprechend die Techniken zur Umsetzung der Anlage 1 zur BITV 2.0 sind in den ›Techniques‹ zur WCAG 2.0, einem veränderbaren Dokument, zusammengefasst (...)«

Demnach sind (ausschließlich?) Techniken des offiziellen WCAG-Technikendokuments anzuwenden. Abgesehen von dieser Fehlinterpretation der Techniken ist das hinsichtlich des Adobe-Umfließens aus einem einfachen Grund nicht erfüllbar: Es gibt keine PDF-Techniken, die das Adobe-Umfließen behandeln und Anleitungen enthalten würden wie mit Darstellungsfehlern umgegangen werden soll.

Eine kuriose Situation, die noch kurioser wird, wenn PDF-Dateien auf Barrierefreiheit geprüft werden sollen. Denn: Sind nur WCAG-Techniken anzuwenden, dann müsste jedes PDF, das weißen Text enthält und bei dem dieser Text im Adobe-Umfließen-Modus sichtbar ist, durch die Prüfung fliegen. Warum? Ist der Text im Adobe-Umfließen-Modus sichtbar, dann ist das ein eindeutiges Zeichen, dass notwendigerweise und weil es faktisch nicht anders geht nicht-veröffentlichte Techniken verwendet wurden.

Zuweilen wird argumentiert, dass das Adobe-Umfließen zwar nicht bei Vergrößerung genannt wird, aber in »PDF 3 Ensuring correct tab and reading order in PDF documents«. In der genannten PDF-Technik wird zwar ein Umfließen angesprochen, jedoch 1. nicht als DIE Testtechnik und 2. nur als EINE von drei möglichen. Eindeutig geht das aus Teil 1 der »Test Procedure« hervor:

Verify that the content is in the correct reading order by one of the following:

  • Read the PDF document with a screen reader or a tool that reads aloud, listening to hear that each element is read in the correct order.
  • Reflow the pages and visually inspect the reading order.
  • Use a tool that exposes the document through the accessibility API, and verify that the reading order is correct.

Und ob beim zweiten Punkt wirklich das Adobe-Umfließen gemeint ist, sei dahingestellt.

Verträge erfüllen – aber wie?

Workarounds und damit Umsetzungstechniken für das Adobe-Umfließen – zumal solche, die sich nicht störend auf andere Bereiche der Barrierefreiheit auswirken – sind auch in einem anderen Zusammenhang ein interessantes Thema. Einige funktionieren abhängig vom PDF mal und mal nicht, und wieder andere funktionieren seit Veröffentlichung von Acrobat Professional XI nicht mehr oder nicht mehr so gut. Wohl dem, der eine Lizenz für Acrobat X oder Acrobat IX sein eigen nennt, denn gemäß Adobe-Firmenpolitik ist nach Veröffentlichung einer neuen Version die Ältere nicht mehr erhältlich. Dienstleister stehen damit vor der Wahl, entweder mit zwei Versionen auf zwei Rechnern oder mit Virtuellen Maschinen zu arbeiten oder sich neue Umsetzungsmöglichkeiten auszudenken, die dann aber natürlich wiederum nicht im Technikendokument stehen.

Abgesehen vom Idealismus, den wir in Sachen Barrierefreiheit haben, geht es am Ende des Tages als Dienstleister darum Verträge zu erfüllen. Wird ein funktionierender Adobe-Umfließen-Modus verlangt, dann darf nicht festgelegt werden, dass WCAG-Techniken anzuwenden sind. Das ist von keinem Dienstleister erfüllbar, da gerade bei Broschüren so gut wie immer nicht-veröffentlichte Workarounds verwendet werden müssen.

Sprechen wir vom Geld

Adobe-Optimierung – und davon reden wir hier letztlich – ist nicht kostenlos zu haben. Sie treibt den Preis für Nachbearbeitungen von PDF-Dateien für Broschüren, Flyer und andere Dokumente mit hohem Layout-Anteil zwangsläufig in die Höhe. Und man könnte mit Fug und Recht vermuten, dass diese Kosten oft abschreckend wirken und schnell dazu führen können, dass wir weniger barrierefreie PDF-Dateien haben, als wir haben könnten. Die gut gemeinte Vorgabe verkehrt sich damit ins Gegenteil, denn auch wenn es erfreulicherweise immer mehr barrierefreie PDF-Dokumente gibt: Die Zahl derer, die angesichts der hohen Kosten und des hohen Aufwands zurückschrecken, wächst so können wir vermuten automatisch mit.

Am wenigsten »Schuld« haben hier die Dienstleister. Sie liefern das, was vertraglich verlangt wird.

Adobe-Optimierung betrifft nicht nur das Nachtaggen eines Dokuments, sondern bereits Konzeption und Layout. Sollen die kostengünstigsten Lösungen eine Rolle spielen, dann muss so beraten werden, dass die Tücken des Adobe-Umfließens möglichst wenig greifen. Eine Dauerlösung kann und sollte das nicht sein.

Standpunkte

Wie lässt sich innerhalb dieser Quadratur des Kreises das Ei des Kolumbus finden? Letztlich so lange nicht wie BITV 2.0 und das Adobe-Umfließen so sind wie sie sind. Nötige Maßnahmen sind vor diesem Hintergrund:

  • Entfernung des Techniken-Passus aus der Begründung zur BITV 2.0 sowie Entfernung ggf. vorhandener Verweise auf WCAG-Techniken aus Verträgen.
  • Verstärktes Promoten des VIP-Readers und Einwirken auf Hersteller von PDF-Readern, sich um ein standardkonformes Umfließen zu bemühen. Hier ist besonders Adobe gefragt.
  • Zulassen alternativer Reader am Arbeitsplatz

Weg also mit dem Adobe-Umfließen-Modus?

Können wir getrost darauf verzichten, ihn zu bedienen? Können wir unsere Workarounds über Bord werfen? So einfach ist das dann doch wieder nicht und dafür gibt es einen gewichtigen Grund: Vor allem auf der Arbeit und damit in Intranets sind Nutzer in der Wahl ihrer Software meist nicht frei und hier ist Adobe Reader unbestritten der Platzhirsch. Und mal ehrlich: Wer liest schon gerne PDF-Dateien mit waagerechtem Scrollbalken? Zudem dürften und müssen Lesern und Nutzern Software-Bugs herzlich egal sein. Wird die rein-formale Ebene verlassen, dann müssten zumindest im Intranet, wo Nutzer keine Wahl haben, Usability-Aspekte diskutiert und voran gebracht werden.

Nutzer, Verbände, der Bund, die Dienstleister und die PDF Association sind gefordert, auf Adobe einzuwirken und die dringend notwendige Renovierung dieser Anzeigemöglichkeit zu fordern und auch die des Kontrastmodus selbstverständlich. Vor allem aber muss der Techniken-Passus aus der Begründung zur BITV 2.0 entfernt werden, damit es möglich ist, sicher und ohne Zweifel an der Verbindlichkeit der Begründung Verträge zu erfüllen.

Kommentare

Michi
am 20.12.2014 - 17:46

Hallo,

sind mit LaTeX erstellte semantisch korrekte PDFs automatisch barrierearm / barrierefreie PDFs?

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Olaf Drümmer
am 21.12.2014 - 13:05

Ein PDF ist dann barrierearm / barrierefrei, wenn eine Reihe von Bedingungen erfüllt ist (Inhalt ist auch als Text zugänglich [bei bildlichen Darstellungen durch Beifügen einer Textentsprechung], der Text ist in der richtigen Lesereihenfolge mittels semantisch angemessener Tags ausgezeichnet, die Tag-Struktur spiegelt die Dokumentstruktur wider, usw. usf.

Sofern ein aus LaTeX enstandenes PDF sich hieran hält, ist auch dieses barrierearm/barrierefrei. Aus dem Stand kann ich leider nicht beisteuern, wie man aus LaTeX überhaupt getaggtes PDF erstellen kann, und ob das Ergebnis dann ausreicht, um als barrierarm/barrierefrei zu gelten. An sich eignet sich LaTeX ja sehr gut als Werkzeug, um Dokumente in strukturierter Weise zu erstellen.

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Mullemops
am 21.12.2014 - 14:04

Nein, sind sie nicht. Das Ausgangsformat spielt praktisch keine Rolle, wenn es nicht mit einer passenden Engine konvertiert wird und mir ist kein Tool bekannt, das Latex in barriefreies PDF umwandeln würde.

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Michi
am 21.12.2014 - 19:22

@Mullemops: Mumpitz!
In LaTeX wird Text gesetzt. Man verwendet hierzu bspw. unterschiedliche Überschriftengrade. Definiert Listen, Absätze, Zitate, Fußnoten etc.pp.
Und exakt diese semantischen Auszeichnungen finden sich im erstellten PDF in dessen Quellcode wieder!

Man arbeitet ja in LaTeX schon auf der Quellcode Ebene vergleichbar mit einem HTML-Editor und im Vergleich zu HTML kann man in LaTeX eher schlecht rumschmotzen - man muss die Tags schon semantisch korrekt anwenden um zum gewünschten Ergebnis zu gelangen.

Ich behaupte dass sich mit LaTeX eine der barrierearmsten PDFs überhaupt erstellen lässt. Und zwar "out of the box" ohne nachträgliches dran rumfummeln!

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Olaf Drümmer
am 22.12.2014 - 21:36

@Michi:

ich habe da inzwischen ein wenig recherchiert - wenn man sich die Vortragsfolien von Axel Strübing aus 2012 unter dem Titel "LATEX und barrierefreies PDF" (siehe http://www.dante.de/events/Archiv/dante2012/Programm/Vortraege/vortrag-s... ) anschaut, könnte man zu dem Schluss kommen, dass es schlecht aussieht mit barrierefreien PDFs aus LaTeX.

Aber vielleicht weisst Du mehr? Ich wäre mehr als gespannt, meinen Horizont diesbezüglich zu erweitern.

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