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Tage wie dieser

Kolumne

Tage wie dieser

Wie sieht der normale Tag eines selbstständigen Webdesigners aus? Darauf können auch wir pauschal keine Antwort geben. Klar ist nur, dass öde Routine nur selten dazugehört. Oft sind es die kleinen Tücken der Projektarbeit, die für ereignisreiche Stunden am Rechner sorgen. Heute gewährt uns Nils Pooker einen Blick in den Ablauf eines nicht ganz ernst gemeinten »Worst-Case-Arbeitstages«.

7.00 Uhr

Traum gehabt: Adobe-Entwickler stieg durchs Fenster in mein Büro, installierte etwas auf meinem Rechner und stieg hämisch lachend wieder hinaus. Schweißgebadet aufgewacht. Immerhin: heute ist Launch von Firma Meierhoff.

7.10 Uhr

Gut: Der Kaffee ist heiß, für Anrufe ist es zu früh. Schlecht: E-Mail-Eingänge überflogen.

Meierhoffs Mail um 23.18 Uhr. »am rechner? schicke pdf, muss noch rein.« Kein Anhang. Keine weitere Mail. PDF? Denke an den Adobe-Mann aus dem Albtraum.

Kunde Clausen will mein Angebot lesen. »Wir wollen das Redaktionssystem mit großem Funktionsumfang. Frage: Wie öffne ich Ihren Anhang?« Brauche sofort eine Zigarette.

7.20 Uhr

Kanzlei Trammer: »Dieses Jimdo ist uns doch zu kompliziert. Ein Mandant hat uns Typo3 empfohlen, ist das einfacher?« Ruhig bleiben.

Firma Klöbner? Wer war das noch? »Sie hatten uns 2002 eine Website erstellt. Kann man die für mobile Geräte optimieren?« Komplette Löschung? Zugang sperren? Abschalten der CSS-Datei? Markiere die Mail mit »Ist Werbung«. Erledigt.

Sieh’ an, Kunde Lüdermann schickt das Foto für die Einzelansicht des Teams. »Größer, wie gewünscht!« 400 x 230 Pixel. Spaß muss sein? Kann ich auch: Photoshop > Bildgröße > Pixelwiederholung. Online.

Im Schrank stünde noch der Panama-Rum. Nein, zu früh. Zigarette.

7.50 Uhr

Vor dem nächsten Kaffee eine letzte Mail lesen. Hach, der nette und dankbare Herr Müller, also Erfreuliches. Vermutlich eine kleine Änderung an seiner statischen Site. »Wir hätten gern Suchfunktion, Aktuellbereiche, ein Blog und mehrere Formulare.«
Mein Blick fällt auf Spiegel online. Wieder Amoklauf in den USA. Kurze Recherche. Nein, war weder ein Webdesigner noch ein Entwickler.

7.55 Uhr

Kaffee in ausreichend großer Entfernung zum Schrank getrunken. Hoffe auf Ruhe für den Launch.
Pling! Mail von Meierhoff. »pdf anbei. hochauflösend.« Endlich. Hochauflösend? PDF mit 4 MB. Denke an den Adobe-Mann. In der Hoffnung auf viele Bilder falte ich beim Öffnen des Acrobats instinktiv die Hände.
Nur Text, eingescannt und als PDF gespeichert. Abtippen? Mail schreiben?
Entscheide mich für den Schrank. Oh, wie schön ist Panama.

8.15 Uhr

Gut gelaunt zurück am Rechner.
Telefon. Anruf der Agentur von Kunde Clausen: »Könnten Sie uns aus der Vorlage einen Dummy erstellen?«
»Einen Klickdummy als HTML-Prototypen?«
»Ach, das geht mit Photoshop?«
Erkläre das genauer und denke über die Vorteile der Waffengesetze in den USA nach.

8.25 Uhr

Anruf von Meierhoffs Assistentin.
»Auf der Startseite steht noch ein Wort alleine in der letzten Zeile, das soll da weg.«
»Das ist HTML und nicht zu verhindern.«
»Natürlich! Blocksatz und Tabulator, geht sogar in Word!«
Erkläre das genauer und denke über eine Auswanderung in die USA nach.

Hole mir was zu trinken, damit die Zigarette nicht so trocken schmeckt. Die Schranktür kann auch offen bleiben.

8.55 Uhr

Telefon. Meierhoff höchstpersönlich. Ich melde mich noch einigermaßen deutlich.
»Da ist was zerschossen!«
»Hm. Welchen Browser benutzen Sie?«
»Windows!«
»Nein, das Programm, mit dem Sie ins Internet gehen. Am Bildschirmrand in der Menüleiste, ist da ein Symbol, vielleicht ein blaues ›e‹?«
»Moment. Ah, hier. Da steht ›Samsung‹.«
Genehmige mir einen sehr großen Schluck. Nach Telefonat mit dem Praktikanten, der sich das mal angesehen hat, lasse ich mich wieder zu Meierhoff durchstellen und versuche zu erklären, dass die Kombination aus sehr groß eingestellter Schrift und dem IE6 bei stark verkleinertem Browserfenster zu leichten optischen Irritationen führen kann. Erklärungsversuch scheitert. Trinke noch etwas mehr und frage nach den PDF-Inhalten als Word-Datei. Klar, haben die nicht mehr. Erwähne dann leichtsinnig den Begriff »OCR-Texterkennung«.
»OCR? Schade, unser Scanner ist leider von Epson.«

Vor dem Abtippen zwei Zigaretten und mal eine Kleinigkeit trinken. Auswanderung nach Panama wäre auch eine Option. Besser das Telefon in die Brusttasche stecken. Habe das Glas im Büro vergessen. Egal, geht auch aus der Flasche.

9.45 Uhr

Panama macht keine gute Laune mehr.
Drei Anschläge, dann schmiert Acrobat ab. Der Adobe-Mann? Hangle mich geschickt mit den Händen am Schreibtisch entlang und stoße nur zweimal gegen Möbelstücke. Blicke nach draußen, aber weit und breit niemand zu sehen. Jetzt den Rückweg antreten.

10.25 Uhr

Scheiß Turnschuhe, nicht gesehen. War dann auch keine gute Idee zu versuchen, an einem Drehstuhl hochzukraxeln, nicht zu empfehlen, dauert ewig. Bleibe jetzt sitzen und hoffe auf ausdauernde Blase. Dumpfe Töne. Augen und Ohren versuchen, die Geräuschquelle zu identifizieren. Da! Zwei Telefone auf dem Boden zwischen mir und dem Fenster? Ach nee, doch nur eines. Nicht noch einmal aufstehen, warte lieber auf E-Mails.
Klick, Acrobat öffnet sich wieder, ich weiche automatisch zurück. Jetzt behutsam tippen. Schnell geht eh nicht mehr. Entdecke noch einen großen Rest in der Flasche. Puh, Panama.

16.30 Uhr

Langsam kann ich wieder klar denken, war wohl kurz weggenickt. Zwei getippte Seiten, Tastatur scheint kaputt zu sein, Text ist kaum zu entziffern. Fünf Anrufe in Abwesenheit auf der Basisstation. Nanu, so viele Browser-Tabs? Ein Formular zur Bewerbung bei der CIA? Eine Seite mit Infos zur Auswanderung, ein Tab mit irgendeiner »Rifle Association« und ein Tab mit Google-Suche nach »Kopfschmerzen Chemtrails Adobe«? Scheiß Spam.
Blicke auf den Posteingang. Ups, Mail von Meierhoff vor zwei Stunden: »wo sind sie, pdf hat sich erledigt, bitte sofort online schalten!!!!«
Öffne das Backend des CMS. Klick. Launch.
Mail an Meierhoff: »Online. Sorry, habe zur Zeit Panama-Grippe.«

16.55 Uhr

Mail von Meierhoff: »na endlich. logo muss vier millimeter weiter nach links, habe das mit lineal nachgemessen!!! wieso sehe ich auf meinem alten laptop die runden ecken und schatten nicht, wo sind die??? assistentin hat alte www-adresse noch im google gefunden, bitte da mal schnell anrufen wg. änderung. gute besserung.«

Der Rechner lässt sich nicht gut tragen. Draußen zünde ich mir eine Zigarette an und atme tief durch. Wundervoll, diese Ruhe. Die ersten Schneeflocken, friedlich und sanft bedecken sie den winterlichen Rasen. Ich drücke auf den Garagenöffner. Da drüben, irgendwo hinter den Fahrrädern, da müsste der Vorschlaghammer liegen.

RRRING!

Wache schweißgebadet auf. Gehe ins Büro an den Rechner und öffne das Backend des CMS von Meierhoff. Klick. Launch. Schalte den Rechner wieder aus und tippe eine SMS an Meierhoff: »Site ist freigeschaltet, kann heute leider keine Mails empfangen.«

Kommentare

Chris Jung
am 13.12.2013 - 08:33

Ich bin zwar angestellt, allerdings kann ich das trotzdem extrem gut nachvollziehen. ;-)

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Sebastian Sollfrank
am 13.12.2013 - 08:38

8.37 Uhr: Kann mich an etwa 80% dieser Situationen aus dem eigenen Designer-Alltag erinnern. Und da sind die Print-Projekte noch gar nicht eingerechnet. Danke. Fühle mich jetzt nicht mehr so ganz allein ;-)

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Karsten Peters
am 13.12.2013 - 08:47

Königlich und genau auf den Punkt! Da soll noch mal einer sagen, wir Nordlichter wären humorlos. Chapeau, Herr Kollege!

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Micha
am 13.12.2013 - 09:23

Kein Alkohol ist auch keine Lösung.

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Ingo
am 13.12.2013 - 10:53

Lange nicht mehr so gelacht! Schonmal über eine Anekdotensammlung in Buchform nachgedacht? Würde wahrscheinlich enzyklopädisch werden...

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nk
am 13.12.2013 - 14:43

Wußte gar nicht, dass Herr Pooker so ein passionierter Raucher ist. :)

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Tjark
am 13.12.2013 - 23:09

Sind die Situationen nicht alle von http://anfragenausderhoelle.tumblr.com/ genommen?

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Nils Pooker

Nils Pooker (Autor)
am 14.12.2013 - 08:13

@Ingo Ja, ich denke darüber nach, im Moment schreibe ich aber noch etwas anderes ;-)
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Nils Pooker

Nils Pooker (Autor)
am 14.12.2013 - 08:13

@Tjark Sehr gut beobachtet :-) Die Beispiele sind tatsächlich meine verarbeiteten Einträge aus der tumblr-Sammlung.
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Tjark
am 14.12.2013 - 12:38

Ah die Beispiele dort sind alle von dir :D
Mein Beileid für solche Anfragen :D

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Christoph
am 16.12.2013 - 15:36

Meine Kunden sind alle nett und machen sowas nie.

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